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Pflegenotstand in Lippe: Betagte am Limit – wenn niemand Zeit zum Wundwechsel hat

today16. Juni 2025 5

Hintergrund
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In einer Region, die für ihren Gemeinschaftssinn bekannt ist, wächst eine leise, aber entscheidende Krise: Der Pflegenotstand in Lippe wird spürbar – sowohl in Heimen als auch bei der ambulanten Pflege zu Hause. Betroffene berichten von fehlenden Mitarbeiterinnen, überlasteten Pflegekräften und Sorgen, ob noch genug Zeit bleibt für das, was wirklich zählt: das Wohl der Pflegebedürftigen.

Wartelisten, leere Schichten und abgesagte Dienste

In zahlreichen Pflegeeinrichtungen in Lippe werden bereits heute Angebote eingeschränkt: Die Pflegekammer NRW meldet, dass landesweit gut 72 % der Heime ihre Leistungen einschränken müssen. Auch wenn Lippe nicht zu den Regionen mit der höchsten Not zählt, sickert durch, dass ambulante Pflegedienste immer enger getaktet sind – Termine fallen aus oder werden verschoben, weil schlichtweg Personal fehlt.

Ein Beispiel: Der Mitarbeitermangel im stationären Bereich zieht direkte Konsequenzen nach sich. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kritisiert besonders die Versorgung von Wunden – in knapp 15 % der Fälle führten mangelhafte Pflege bei Druckgeschwüren zu Infektionen. Betroffene Heime im Kreis Lippe bestätigen, dass Wundversorgung zunehmend zum Stressfaktor wird – aus Zeitmangel bleiben Verbandswechsel aus, Folge: Schmerzen, Entzündungen, enorme gesundheitliche Risiken.

„Pflexit“: wenn Pflegende gehen, weil sie nicht mehr können

Ein weiteres Problem: Der sogenannte „Pflexit“ – der Ausstieg vieler Pflegekräfte aus dem Beruf. Warum? Überlastung, lange Schichten, geringe Entlohnung. In Lippe beobachten Pflegedienste, dass viele erfahrene Kräfte kündigen oder in Teilzeit gehen. Nachrückende fehlen: junge Leute wählen andere Berufsfelder, die Arbeitsbedingungen schrecken ab.

Regionale Initiativen wie „Pflege on Tour“ zeigen, wie verzweifelt man versucht, neue Kräfte zu gewinnen. Aber solche Tage reichen bei weitem nicht, um den immensen Bedarf zu decken.

Psychiatrische Pflege: ein oft unterschätztes Desaster

Ein „schweigend gefährdeter Bereich“ ist die psychiatrische Pflege. Ambulante Dienste wie Das Dach e.V. oder AP&H berichten, dass sie häufig zwischen Krisenintervention und Hausbesuchen jonglieren müssen, obwohl ihre Kapazitäten begrenzt sind. Auch hier greift die Personalnot: Es fehlt an Zeit, Struktur und oft schlicht an Personal, um Menschen mit psychischen Erkrankungen ausreichend zu begleiten.

Politik muss jetzt handeln – aber wie?

Die Diakonie RWL fordert bereits Maßnahmen: Bürokratieabbau, schnellere Anerkennung internationaler Pflegekräfte, Stärkung von Angehörigen und Ausbau lokaler Beratungsangebote. In Lippe ist das Pflegeinformationssystem zwar ambitioniert, doch konkrete Steigerungen bei Pflegekräften in Kliniken, Heimen und bei ambulanten Diensten bleiben bislang aus.

Was bedeutet das im Alltag? Ein Beispiel

Stellen Sie sich vor: Der Hausbesuch dauert nur 20 Minuten – Zeit für Tabletten, Waschen, Grundpflege. Für ein freundliches Gespräch darüber, wie es den Menschen wirklich geht – bleibt kaum Luft. Wunde Stellen werden nur notdürftig versorgt, Angehörige bleiben frustriert. Der Mensch – verloren in einem System, das gilt über Schichten und Akten hinweg – schlicht wegzudrängen droht.

Lippe steht vor der Wahl: Umschwenken oder Kollaps?

Wenn der Personalmangel so weiter fortschreitet, können sich Kliniken mit 1.224 Betten in der Lippe-Region – also Kleinstädten wie Lemgo – nicht mehr sicher auf ihre Hausgemeinschaft verlassen. Und den Schritt zu ambulanten Diensten oder Pflegeheimplätzen müssen viele trotz limitierter Kapazität antreten.

Das können Sie tun – aktiv und konkret

  • Pflegedienste anschreiben: Fragen Sie nach Wartezeiten, Personalstandards und Pflegeschlüsseln.

  • Erfahrungen sammeln: Sprechen Sie mit Betroffenen in Ihrer Nachbarschaft, hören Sie ihre Geschichten.

  • Kreis Lippe anfragen: Fordern Sie Transparenz – etwa über Verstöße, Beschwerden oder MDK-Berichte.

  • Politiker in die Verantwortung nehmen: Was tut der Kreis konkret für Nachwuchs, Pflege-Qualität, Löhne?

Geschrieben von: stanley.dost

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