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Geheime Demokratie? – Die Zensur des Verfassungsschutzberichts zur AfD sorgt für breite Kritik


today17. Mai 2025 5

Hintergrund
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Als das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im April 2025 den Bericht zur Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ vorlegte, hätte man meinen können, die Republik stünde vor einem Wendepunkt. Doch was folgte, war keine klare Kante, sondern nur ein Schattenbericht. Ein Dokument, das – obwohl es sich zu großen Teilen auf öffentlich zugängliche Quellen stützt – als „geheim“ eingestuft wurde. Der Aufschrei ist parteiübergreifend, allerdings in unterschiedlichen Tonlagen.

Kritik von rechts, links und dazwischen

Die Veröffentlichung des AfD-Gutachtens durch das Magazin Cicero und dem Portal Nius hat vor wenigen Tagen das politische Koordinatensystem ordentlich ins Wanken gebracht.

Auch das Magazin „Achtung, Reichelt“, das von NIUS produziert wird, mit dem ehemaligen BILD-Chefradakteur Julian Reichelt, kritisiert den Bericht gar als „Gutachten des Grauens“, das gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit gehe und pseudojuristisch aufgestellt sei. Die AfD werde lediglich vorgeschoben, weil man sie nicht „möge“.

Dazu eine Klarstellung des Autors: Aussagen von AfD-Politikern und Abgeordneten, die auf Plakaten, in Sozialen Medien oder anderswo getätigt werden UND gegen geltende Gesetze verstoßen, sind keine Meinungsfreiheit mehr, sondern regelmäßig ein Straftatbestand, der verfolgt gehört.

Während auch konservative Stimmen wie Mathias Brodkorb vor allem die Geheimhaltung des Berichts als demokratieschädlich kritisieren – mit dem Argument, dass ein Bericht, der sich größtenteils auf öffentlich zugängliche Quellen stützt, nicht als geheim eingestuft werden dürfe –, zeigt sich auch die linke Seite des politischen Spektrums keineswegs einverstanden mit der Kommunikationspolitik der Behörden.

So mahnt etwa die Tageszeitung taz, dass die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ zwar ein symbolträchtiger Schritt sei, rechtlich aber wenig Substanz habe – zumindest solange keine endgültige gerichtliche Entscheidung gefällt wurde. Ein Vermerk mit politischer Signalwirkung also, mehr nicht.
In einem viel beachteten Meinungsbeitrag forderte der Rechtsextremismus-Experte David Begrich sogar eine aktivere Rolle der Zivilgesellschaft: Es reiche nicht, sich auf die Behörden zu verlassen – die AfD müsse allerdings „entnormalisiert“ werden, also ihrer öffentlichen Anschlussfähigkeit beraubt werden. Dazu sei Transparenz aber unerlässlich.

Auch in den sozialen Netzwerken machen linke Politiker:innen und Aktivist:innen ihrem Ärger Luft. Die Geheimhaltung des Berichts sei eigentlich „ein Geschenk an die AfD“, schrieb etwa ein Account aus dem Umfeld von „Aufstehen gegen Rassismus“. Auf X verbreiteten sich zahlreiche Beiträge mit der Forderung: „Zeigt, was drinsteht – oder verliert das Vertrauen!“

Clara Bünger, innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, ging sogar noch einen Schritt weiter: Die Demokratie dürfe es nicht zulassen, dass sich eine Partei, die offen gegen ihre Grundpfeiler agiere, weiterhin über Steuergelder finanziere. In einem Interview sagte sie: „Die öffentliche Finanzierung einer Partei, die als rechtsextrem eingestuft wird, ist nicht zu rechtfertigen – und nicht zu ertragen.“

Jörg Zajonc, Chef von RTL West, äußerte scharfe Kritik an der Geheimhaltung des AfD-Gutachtens. In einem Kommentar warnt er davor, dass die Informationssperre der AfD in die Hände spiele und sie sich so wirkungsvoll als Opfer inszenieren könne. Besonders problematisch sei, dass sich das Gutachten überwiegend auf öffentlich zugängliche Quellen stütze – und dennoch als geheim deklariert wurde. Eine solche Intransparenz untergrabe das Vertrauen in staatliche Institutionen. Demokratie, so Zajonc, brauche Licht, nicht Schatten.

Auch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) rückte in ihrer Analyse weniger das Gutachten selbst, sondern vielmehr die politischen Nachbeben in den Fokus. Besonders im Blickpunkt: Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller, der von Innenministerin Katrin Lange (SPD) am 6. Mai 2025 fristlos entlassen wurde. Der Grund? Er hatte die Ministerin offenbar erst Wochen nach der offiziellen Hochstufung der AfD über den Vorgang informiert – ein Vorgang, der für parteiübergreifendes Stirnrunzeln sorgte. Die dpa zeichnet das Bild eines Behördenapparats, der beim Umgang mit rechtsextremen Entwicklungen zwischen politischer Brisanz und interner Kommunikationspannen zerrieben werde.

Zugleich griff die Agentur die wachsende Kritik an der weiteren Finanzierung der AfD durch staatliche Mittel auf. So zitierte sie unter anderem SPD-Vizechefin Serpil Midyatli, die forderte, der AfD müsse angesichts der neuen Einstufung durch den Verfassungsschutz dringend die staatliche Parteienfinanzierung gestrichen werden. Es dürfe nicht sein, dass eine im Kern verfassungsfeindliche Partei weiter mit öffentlichen Geldern gefüttert werde. Auch dieser Aspekt zeigt: Der Bericht des Verfassungsschutzes ist nicht nur ein Papier – er ist ein politisches Pulverfass!

Ein Bericht für die Tonne – oder doch ein politisches Druckmittel?

Offiziell wurde das Gutachten aus Gründen „des Quellenschutzes und der Geheimhaltungsbedürftigkeit“ eingestuft. Doch wie viel davon ist wirkliche Geheimhaltung – und wie viel davon politische Strategie?
Kritiker argumentieren: Die frühere Bundesregierung wolle sich nicht (mehr) die Finger verbrennen. Ein offenes Gutachten könne nicht nur juristisch angreifbar sein – es würde auch die politische Debatte über ein mögliches AfD-Verbot zementieren. Der jetzige Zustand zeigt jedoch etwas anderes: Die Glaubwürdigkeit fehlt auf allen Seiten.

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) warnte in einem Interview, ein gescheitertes AfD-Verbotsverfahren würde der Partei nur weiteren Zulauf bescheren und er sei deshalb gegen ein Verbot. Eine Einschätzung, die man sowohl als vorsichtig wie auch als defätistisch lesen kann.

Medien unter Beobachtung – und nicht nur durch Leser

Nachdem Nius das Gutachten veröffentlicht hatte, prüft nun die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ein Aufsichtsverfahren gegen das Portal. Beschwerden zu dem Sender gab es zuhauf – nicht nur wegen der Veröffentlichung, sondern auch wegen möglicher Verstöße gegen publizistische Sorgfaltspflichten, die auch im Magazin „Achtung, Reichelt“ zum Vorschein kommen. Die Debatte verlagert sich damit auf eine neue Ebene: Ist es Zensur, wenn Medien das berichten, was die Behörden verschweigen? Oder ist es eine Pflicht?

Vertrauen oder Verunsicherung – was bleibt?

Die Veröffentlichung durch Cicero und Nius mag vielleicht auch einen Rechtsbruch darstellen – moralisch argumentieren die Medien jedoch mit dem öffentlichen Interesse. Und tatsächlich: Wenn ein Verfassungsschutzbericht nicht offen diskutiert werden kann, obwohl er auf öffentlich zugänglichen Fakten bzw. Quellen basiert, was sagt das über den Zustand der deutschen Demokratie aus?

Die AfD wiederum nutzt den Vorgang geschickt wieder für ihre eigene Opfererzählung – und hat mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht erreicht, dass der Verfassungsschutz die öffentliche Bezeichnung als „gesichert rechtsextremistisch“ bis zur juristischen Klärung ausgesetzt hat.

Eine Demokratie darf nicht im Dunkeln agieren

Was bleibt, ist ein mulmiges Gefühl auf allen Seiten. Die Bundesrepublik Deutschland scheint 2025 zwar entschlossen, gegen rechtsextreme Kräfte vorzugehen – aber zögert, dies offen und transparent zu tun. Es ist ein Paradoxon: Um die Demokratie zu schützen, riskiert man, ihr Vertrauen zu untergraben. Der Umgang mit dem Gutachten zur AfD wird so zum Sinnbild für eine politische Kultur, die sich zunehmend zwischen Schutz, Despektierlichkeit und Schweigen verliert.

Geschrieben von: stanley.dost

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