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Geheime Vereinbarung: Bundesländer lockern Spielerschutz für Online-Glücksspiele

today6. März 2025

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Versteckter Deal mit Wettanbietern setzt gesetzliche Schutzmaßnahmen außer Kraft – Experten alarmiert

Berlin – Die deutschen Bundesländer haben mit Anbietern von Online-Glücksspielen eine bislang geheime Vereinbarung getroffen, die wesentliche gesetzliche Regelungen zum Spielerschutz unterläuft. Dies geht aus Recherchen des ARD-Magazins MONITOR in Zusammenarbeit mit „Investigate Europe“ und ZEIT ONLINE hervor. Fachleute sowie der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung zeigen sich entsetzt.

Mit mehr als 1,3 Millionen Spielsüchtigen und weiteren 3,2 Millionen gefährdeten Personen stellt Glücksspielsucht ein wachsendes gesellschaftliches Problem dar. Besonders Online-Glücksspiele – einschließlich Sportwetten – befeuern diese Entwicklung. Seit 2018 haben sich die Umsätze der Glücksspielplattformen europaweit verdoppelt. Erst kürzlich warnte die Fachzeitschrift „The Lancet“ vor den zunehmenden gesundheitlichen Risiken durch unkontrolliertes Online-Glücksspiel.

Regulierungsversagen trotz gesetzlicher Vorgaben Die Regulierung von Glücksspiel-Angeboten fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer, die diese Aufgabe an die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) übertragen haben. Der Glücksspielstaatsvertrag sieht eine monatliche Einzahlungshöchstgrenze von 1.000 Euro für Online-Casinos und Wettanbieter vor, um finanziellen Ruin durch Spielsucht zu verhindern. Eine Überschreitung dieses Limits ist nur nach Vorlage umfassender Einkommensnachweise möglich.

Doch genau diese zentrale Schutzmaßnahme wurde durch eine geheime Vereinbarung im November 2022 praktisch außer Kraft gesetzt. Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs mit Sportwettenanbietern, die gegen den Spielerschutz klagten, akzeptierten die Bundesländer die sogenannte Schufa-G-Abfrage als alleinigen Vermögensnachweis. Dabei handelt es sich um eine speziell für die Glücksspielbranche entwickelte Bonitätsprüfung, die jedoch weder Einkommen noch tatsächliche Vermögensverhältnisse erfasst.

Spielsuchtgefahr steigt dramatisch Recherchen ergaben, dass selbst Personen mit geringem Einkommen ihr Einzahlungslimit drastisch erhöhen können: Ein Student mit nur 1.000 Euro Monatsverdienst konnte sein Limit auf 10.000 Euro anheben. Suchtexperten schlagen deshalb Alarm. „Gerade suchtanfällige Personen werden versuchen, von dieser Limiterhöhung Gebrauch zu machen“, warnt Tobias Hayer von der Universität Bremen. Die neuen Regelungen würden es gefährdeten Spielern ermöglichen, noch schneller in die Schuldenfalle zu geraten.

Auch der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, kritisiert das Vorgehen scharf: „Es ist skandalös, dass die von den Bundesländern festgelegten Regeln im Nachhinein heimlich aufgeweicht wurden.“ Den Glücksspielanbietern werde damit „ein Freifahrtschein erteilt, auf Kosten der Gesundheit und der Gesellschaft ihre Profite zu maximieren“.

Juristische Prüfung gefordert Staatsrechtler Prof. Christoph Degenhart sieht rechtliche Probleme in der Vereinbarung und fordert eine verfassungsrechtliche Prüfung: „Vieles spricht dafür, dass das ungesetzlich ist.“

Die meisten Bundesländer verweisen auf die Glücksspielbehörde, die derzeit prüft, ob die Schufa-G-Abfrage tatsächlich den Vorgaben des Spielerschutzes entspricht. Konkrete Antworten zur Frage, warum der gesetzlich festgelegte Schutz ausgehebelt wurde, bleiben jedoch aus. Einzige Ausnahme bildet der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), dessen Behörde klar Stellung bezieht: „Die Zulassung der Schufa-G-Abfrage widerspricht den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags, die Entstehung von Spielsucht zu verhindern.“ Daher müsse die Nutzung dieser Abfrage „den Glücksspielanbietern unverzüglich untersagt werden“.

Geschrieben von: Florian Jäger

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